Abstandsregelungen der Bauordnung und der Schutz vor fremder Einsicht

Grundsätzlich kein Schutz vor fremder Einsicht durch Abstandsregelungen

Abstandsregelungen dienen grundsätzlich nicht dazu, fremde Einsichten in Wohnhäuser oder auf Grundstücke zu verhindern. Dies ergibt sich zunächst rechtstechnisch daraus, dass die Abstände zB in Niedersachsen von 1H auf ½ H, jedoch mindestens 3 Meter, halbiert wurden und damit der Schutz der Privatsphäre nicht zielführend allein durch diese Abstandsregelungen realisiert werden kann. Zudem bleibt auch bei Einhaltung eines Abstandes von beispielsweise 9 Metern der Einblick zum Nachbarn ohne Weiteres möglich. 

Hohe Hürden für Verstoß gegen Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme

In Betracht kommt lediglich ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Aber auch hier ist festzustellen, dass die Hürden für eine erfolgreiche Nachbarklage hoch sind.

Denn insbesondere im bebauten innerörtlichen Bereich sind gegenseitige Möglichkeiten der Einsichtnahme unvermeidbar. Der Nachbar hat deshalb in der Regel keinen Schutz vor der Schaffung neuer Einsichtsmöglichkeiten in sein Grundstück (OVG Lüneburg, Bes. v. 18.02.09 – 1 ME 282/08 -, BauR 2009, 954; OVG Saarland, Bes. v. 30.03.12 – 2 A 316/11 -, BauR 2013, 442). Denn es liegt in der Natur der Sache, dass in Baugebieten Einblicke von Balkonen auf Nachbargrundstücke gewonnen werden können und dieses von den Eigentümern und Bewohnern eines Gebietes regelmäßig hinzunehmen ist (VG Hannover 4. Kammer, Beschluss vom 06.10.2016, 4 B 4980/16).

Architektonische Selbsthilfe

In der Rechtsprechung kursiert deshalb der Begriff der architektonischen Selbsthilfe (z.B. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 14.06.2004 – 1 ME 101/04).

Die Verwaltungsgerichte stellen darauf ab, ob es Prätendenten zuzumuten ist, gegen Belästigungen dieser Art „architektonische Selbsthilfe“ (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314 = DVBl. 2000, 192 = BRS 62 Nr. 86) durch Einbau und Gebrauch von Gardinen oder Ähnlichem zu üben. In der Regel kommt es auf eine Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles, mithin die unmittelbare Umgebung, an. So kann ein etwaiger Schutzanspruch in einem Kerngebiet weitaus verminderter sein, als in einem reinen Wohngebiet.

Deshalb kann ein Grundstückseigentümer nur in bestimmten Ausnahmesituationen beanspruchen, dass von fremden Grundstücken nicht in seine Räumlichkeiten Einsicht genommen wird.

Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass eine enge Auslegung der Abstandsvorschriften in diesem Zusammenhang (Schutz vor Einsicht vom Nachbargrundstück) geboten ist. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme birgt aufgrund des Instituts der architektonischen Selbsthilfe hohe Hürden. Eine Einsichtnahme der Gegebenheiten vor Ort durch einen Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Verwaltungsrecht ist daher regelmäßig zweckmäßig.

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

RA Marc Heidemann konzentriert sich auf das Verwaltungsrecht und deckt eine breite Palette an verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten ab. Seine Schwerpunkte liegen insbesondere im Waffenrecht, Denkmalschutzrecht und Baurecht. Bei verwaltungsrechtlichen Fragen bietet er zudem Unterstützung im Arbeits- und Zivilrecht. Entdecken Sie sein Fachwissen für Ihre rechtlichen Belange.

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