Außengastronomie und Rücksichtnahmegebot

Der Betrieb einer Außengastronomie kann insbesondere in Wohngebieten zu Konflikten mit dem nachbarschützenden Rücksichtnahmegebot führen. Dieses Gebot ist in § 34 Abs. 1 BauGB und § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankert und konkretisiert sich insbesondere über das Immissionsschutzrecht. Maßstab ist dabei stets eine am Einzelfall orientierte Abwägung zwischen den Interessen der betroffenen Nachbarschaft und dem Betreiber der Außengastronomie. Der folgende Überblick stellt die rechtlichen Anforderungen und die hierzu ergangene Rechtsprechung dar.

Das Rücksichtnahmegebot als Ausprägung nachbarschützender Vorschriften

Der Betrieb einer Außengastronomie kann das Rücksichtnahmegebot verletzen, wenn die von ihr ausgehenden Immissionen zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führen. Die Anforderungen an die Rücksichtnahme richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei gilt: Je schutzwürdiger die Nachbarposition, desto stärker wiegt das Rücksichtnahmegebot. Umgekehrt nimmt das Schutzbedürfnis ab, wenn das Vorhaben besonders gewichtige Interessen verfolgt.

Eine unzumutbare Beeinträchtigung kann sich vor allem aus Lärmimmissionen ergeben, mithin kann der Betrieb einer Außengastronomie einen Verstoß gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB oder § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltene nachbarschützende Rücksichtnahmegebot darstellen.

Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung der Person ist, der die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann sie an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht die Person, die das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits der rücksichtnahmebegünstigten und andererseits der rücksichtnahmeverpflichteten Person nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.3.2019, 4 B 39/18, juris Rn. 9 m.w.N.). Eine unzumutbare Beeinträchtigung kann sich insbesondere aus den von einem Vorhaben ausgehenden Lärmimmissionen ergeben.

Besonderheiten bei der Betrachtung

Ob es sich bei den von der Außengastronomie ausgehenden Geräuschen um schädliche Umwelteinwirkungen handelt, beurteilt sich nach objektiven Maßstäben. Maßgeblich ist § 22 BImSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG. Demnach sind erhebliche Belästigungen oder Nachteile für die Allgemeinheit oder Nachbarschaft zu vermeiden oder auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ wird für Geräusche grundsätzlich durch die TA Lärm konkretisiert.

a) Objektiver Maßstab

Die Beantwortung der Frage, ob schädliche Umwelteinwirkungen vorliegen, beurteilt sich nach objektiven Maßstäben (vgl. VG Berlin, Urt. v. 4.12.2019, 4 K 198.16, juris Rn. 19). Das Maß dessen, was der Nachbarin an Immissionen zumutbar ist, richtet sich danach, welche Immissionen sie nach den Wertungen des Immissionsschutzrechts hinzunehmen, hat. 

b) Zumutbarkeitsgrenze § 22 BImSchG

Der Maßstab für die Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze ergibt sich dabei aus § 22 BImSchG (OVG Hamburg, Beschl. v. 7.6.2023, 2 Bs 38/23, juris Rn. 37). Nach dieser Vorschrift sind schädliche Umwelteinwirkungen, d.h. Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG), zu verhindern oder zumindest auf ein Mindestmaß zu beschränken. Der unbestimmte Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen wird dabei für Geräuschimmissionen grundsätzlich durch die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) konkretisiert (OVG Hamburg, Beschl. v. 7.6.2023, 2 Bs 38/23, juris Rn. 37). 

c) Außengastronomie außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm

Allerdings sind Freiluftgaststätten nach Nr. 1 Satz 2 lit. b) TA Lärm von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen. 

d) TA Lärm als Orientierungshilfe bei der Einzelfallbeurteilung

Wegen der im Wesentlichen vergleichbaren Situation, dass die durch das Verhalten der Gäste verursachten Geräuscheinwirkungen anhand der TA Lärm nicht zutreffend bewertet werden können, sind von dem Ausschluss aber auch die Freiluftbereiche sogenannter „gemischter Gaststätten“ erfasst, die sowohl einen Innen- als auch einen Außenbetrieb aufweisen, jedenfalls wenn sie bis auf wenige Meter an den Ruhebereich der Wohngrundstücke eines angrenzenden reinen (BVerwG, Beschl. v. 3.8.2010, 4 B 9.10, juris Rn. 4) oder allgemeinen (OVG Münster, Urt. v. 6.9.2019, 7 A 1174/17, juris Rn. 30 ff.) Wohngebiets heranreichen. 

Dies gilt nach der Überzeugung des VG Hamburg auch in Bezug auf eine aus Innen- und Außengastronomie bestehenden Betrieb, der sich im Erdgeschoss eines Gebäudes befindet, das ebenso wie die Umgebung maßgeblich durch Wohnnutzung geprägt ist. Auf die mögliche Einordnung der unmittelbar angrenzenden Umgebung als Wohngebiet im Sinne der Baupolizeiverordnung oder als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung kommt es dabei nicht an, entscheidend erscheint, dass das Gebiet faktisch vorwiegend dem Wohnen dient und daher den mit dem Wohnen verknüpften Lärmschutzerfordernissen besonderes Gewicht zukommt.

Unterfällt eine Außengastronomie nicht dem Anwendungsbereich der TA Lärm, ist nicht ausgeschlossen, die Richtwerte der TA Lärm als Orientierungshilfe heranzuziehen (OVG Bremen, Beschl. v. 11.4.2023, 1 B 295/22, juris Rn. 39; OVG Münster, Urt. v. 6.9.2019, 7 A 1174/17, juris Rn. 33). Es bedarf aber einer Einzelfallbeurteilung, bei der insbesondere die Art und Lästigkeit der jeweiligen Schallereignisse, der hervorgerufene Beurteilungspegel, die Dauer, die Häufigkeit, die Impuls-, Ton- und Informationshaltigkeit sowie das Zusammenwirken dieser verschiedenen Faktoren zu berücksichtigen sind (VGH München, Beschl. v. 27.12.2017, 15 CS 17.2061, juris Rn. 31).

Es kann im Einzelfall deshalb so liegen, dass ein Gastronomiebetrieb diese Werte überschreitet und nach der gebotenen Einzelfallbetrachtung zu unzumutbaren Lärmimmissionen führt. 

Keine isolierte Betrachtung der Außengastronomie: Gesamtbetrachtung sämtlicher Immissionen des Vorhabens

Dabei ist im Rahmen der erforderlichen planungsrechtlichen Gesamtbetrachtung nicht nur isoliert auf die von der Außengastronomie verursachte Lärmbeeinträchtigung, sondern auf die Immissionen des Vorhabens insgesamt abzustellen (VGH München, Urt. v. 21.10.2010, 14 B 08.1267, juris Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 9.12.2021, Au 5 K 21.41, juris Rn. 52). Weiter sind auch diejenigen Immissionen einzubeziehen, die von Kundinnen und Kunden der Beigeladenen verursacht werden, die in der unmittelbaren Umgebung die erworbenen Speisen und Getränke konsumieren. Grundsätzlich ist jeder mit dem Betrieb einer Gaststätte im Zusammenhang stehende Lärm, auch der außerhalb des Betriebsgrundstücks erzeugte, zu berücksichtigen, soweit er einen erkennbaren Bezug zur Gaststätte hat und aus einem vorhersehbaren, aber noch nicht missbräuchlichen Verhalten der Kundinnen und Kunden resultiert (VGH Mannheim, Urt. v. 27.6.2002, 14 S 2736/01, juris Rn. 65; OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.3.2020, 12 ME 4/20, juris Rn. 11; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 9.4.2003, 6 B 12/03, juris Rn. 10).

Besonderheiten des von Außengastronomie ausgehenden Lärms

Der Lärm ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch Unterhaltungen und Lachen sowie das Abstellen und Abräumen von Geschirr. Diese Lärmeinwirkungen sind durch ihre Wechselhaftigkeit und durch einen hohen und erfahrungsgemäß störenden Informationsgehalt geprägt und weisen daher in besonderem Maße störende Lärmspitzen auf (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 27.8.2014, 4 K 741/12, juris Rn.33).

Außerdem entsteht der Lärm in einer Außengastronomie erfahrungsgemäß vor allem mittags und abends sowie an Wochenenden, also vor allem auch zu Zeiten, in denen Anwohnende ein besonderes Ruhebedürfnis haben (vgl. VG Augsburg, Urt. v. 9.12.2021, Au 5 K 21.41, juris Rn. 52; zur erhöhten Empfindlichkeit der Tageszeiten zwischen 20 und 22 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen zusätzlich zwischen 13 und 15 Uhr vgl. Nr. 6.5 TA Lärm). Schließlich ist gerade an solchen Tagen, an denen aufgrund guten Wetters viele Menschen eine Außengastronomie besuchen, das Bedürfnis der Anwohnenden, die Fenster zu öffnen, besonders groß (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 27.8.2014, 4 K 741/12, juris Rn.33).

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

Marc Heidemann ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Verwaltungsrecht und in Hamburg tätig. Seine juristische Ausbildung absolvierte er an der Universität Hamburg, wo er sich intensiv mit den Bereichen Rechtspflege, Internationales Privatrecht, Insolvenzrecht sowie Zwangsvollstreckungs- und Kreditsicherungsrecht befasste. Sein Referendariat führte ihn an das Oberlandesgericht Celle mit einer verwaltungsrechtlichen Spezialisierung am Verwaltungsgericht Stade, insbesondere in den Bereichen Gewerberecht, Öffentliches Baurecht und Landwirtschaftsrecht. Zusätzlich erwarb er eine verwaltungsrechtliche Zusatzqualifikation an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. In seiner anwaltlichen Tätigkeit berät und vertritt Marc Heidemann Mandanten in verschiedenen Bereichen des Verwaltungsrechts. Schwerpunkte sind unter anderem das Waffenrecht, das Denkmalschutzrecht, das Schulrecht und das Baurecht. Er prüft die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, begleitet Genehmigungsverfahren und vertritt Mandanten vor den zuständigen Verwaltungsgerichten. Dabei geht es oft um Fragen zu behördlichen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die berufliche oder private Situation der Betroffenen haben. Marc Heidemann ist Mitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg und setzt sich kontinuierlich mit aktuellen Entwicklungen im Verwaltungsrecht auseinander. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachartikel zu verwaltungsrechtlichen Themen.

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