Ermessensfehler im Bescheid erkennen.

Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie dieses entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Man erkennt Ermessen, wenn in der im Bescheid genannten Rechtsgrundlage „kann“ steht.

Gerichtliche Überprüfung von Ermessen eingeschränkt

Nach § 114 Satz 1 VwGO beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung der Ermessensausübung lediglich darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

Behörde ist zur Ausübung des Ermessens verpflichtet

Sie ist zur Ausübung eines ihr eingeräumten Ermessens nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 17). Dies dient vor allem der Sicherung der Einzelfallgerechtigkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2014 – 6 B 46/13 -, Rn. 8, juris). In einem gerichtlichen Verfahren prüft das Verwaltungsgericht, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die Aufzählung der in § 114 Satz 1 VwGO explizit benannten Arten rechtlich erheblicher Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch und Ermessensüberschreitung) ist nicht abschließend. 

Ermessensunterschreitung, Ermessensausfall oder Ermessensnichtgebrauch

So liegt auch dann ein rechtlich beachtlicher Ermessensfehler vor, wenn die Behörde den gesetzlichen Rahmen des Ermessens nicht ausschöpft (Ermessensunterschreitung) oder überhaupt kein Ermessen ausübt (Ermessensausfall oder Ermessensnichtgebrauch) (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 81 ff.). 

Ermessensausfall ist beispielsweise der Fall, wenn sich die Behörde des ihr eingeräumten Ermessen gar nicht bewusst gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1975 – IV C 30.73 -, Rn. 25, juris; Urteil vom 15. Dezember 1983 – 3 C 27/82 -, Rn. 83, juris). Ein Ermessensausfall kann auch vorliegen, wenn die Behörde gar keine Zweckmäßigkeitsentscheidung getroffen hat (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 114a).

Ermessensfehler indiziert durch vage Begründung

Die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens erfordert es, dass die Verwaltungsbehörde bei ihrer Entscheidung zumindest die wesentlichen Gesichtspunkte gegeneinander abwägt, die für und gegen die Maßnahme sprechen (vgl. BVerwG Urteil vom 16.6.1970 – I C 47.69 -, juris Rn. 13; so auch VG Cottbus, Beschluss vom 29.3.2017 – 1 L 131/17 -, juris Rn. 23). Dabei wird von einem Ermessensdefizit gesprochen, wenn die Behörde nicht alle nach Lage des Falles betroffenen Belange in ihre Ermessensentscheidung einstellt (vgl. Decker in: BeckOK, Posser/Wolff, 60. Edition, Stand: 01.01.2022, § 114 Rn. 21, m.w.N.; Schwarz in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Auflage 2021, § 114 VwGO Rn. 47 f.). Das Fehlen einer ausreichend substantiellen, nachvollziehbaren Begründung oder die „Vagheit“ einer Begründung, der nichts Wesentliches zur Sache entnommen werden kann, ist bei Ermessensentscheidungen an sich schon ein Mangel, der als solcher den Bescheid materiell rechtswidrig macht. Eine unzureichende Begründung stellt regelmäßig ein Indiz für eine fehlerhafte Ermessensausübung dar, ohne dass das Gericht weitere Nachforschungen anstellen müsste (vgl. Ruthig in: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung Kommentar, 26. Auflage 2020, § 114 Rn. 48, m.w.N.).

Ermessensfehler werden durch Auslegung ermittelt

Ob eine Behörde einen bestehenden Ermessensspielraum verkannt hat, ist anhand einer Auslegung ihres Bescheids zu ermitteln. Dabei ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich, dass die Ermessensausübung nach Wortlaut oder Inhalt des Bescheids erkennbar geworden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1978 – III C 18.77 -, Rn. 20, juris). Sofern Erwägungen zum Ermessen bei der Begründung eines Verwaltungsakts fehlen, kann dem regelmäßig das Indiz für einen Ermessensausfall entnommen werden (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 10. November 2016 – 3 A 318/16 -, Rn. 42, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 13. September 2018 – 4 ZB 17.1387 -, Rn. 15, juris). 

Der nach Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt nämlich voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Dem dient auch die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten, gerade auch hinsichtlich der getroffenen Ermessenserwägungen wie es § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG vorschreibt (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 – 14 B 07.1760 -, Rn. 40 m.w.N., juris). 

Aber Achtung! Fehlen Ausführungen zum Ermessen im Bescheid, kann sich gleichwohl aus dem Gesamtzusammenhang und im Wege der Auslegung ergeben, dass die Behörde eine Ermessensentscheidung getroffen hat (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 18).

Ausnahme: Intendiertes Ermessen

Ausnahmsweise kann die Behörde von Ermessenserwägungen absehen, wenn das Ermessen ein Fall des intendierten Ermessens ist. 

Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, daß sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. Urteile vom 5. Juli 1985 – BVerwG 8 C 22.83 – BVerwGE 72, 1 <6> = Buchholz 454.32 § 5 Nr. 1, und vom 25. September 1992 – BVerwG 8 C 68 und 70.90 – BVerwGE 91, 82 <90> = Buchholz 454.71 § 3 Nr. 6, sowie Kopp, VwVfG, 6. Auflage § 39 Rn. 46 ff.).

Als eine ermessenslenkende Norm in diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit z.B. § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG angesehen, wonach Verwaltungsakte bei Vorliegen bestimmter, in der Person des von ihnen Begünstigten liegender Umstände „in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit“ zurückzunehmen sind (Urteil vom 23. Mai 1996 – BVerwG 3 C 13.94 -). Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind (BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1996 – BVerwG 3 C 13.94 -).

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

Marc Heidemann ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Verwaltungsrecht und in Hamburg tätig. Seine juristische Ausbildung absolvierte er an der Universität Hamburg, wo er sich intensiv mit den Bereichen Rechtspflege, Internationales Privatrecht, Insolvenzrecht sowie Zwangsvollstreckungs- und Kreditsicherungsrecht befasste. Sein Referendariat führte ihn an das Oberlandesgericht Celle mit einer verwaltungsrechtlichen Spezialisierung am Verwaltungsgericht Stade, insbesondere in den Bereichen Gewerberecht, Öffentliches Baurecht und Landwirtschaftsrecht. Zusätzlich erwarb er eine verwaltungsrechtliche Zusatzqualifikation an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. In seiner anwaltlichen Tätigkeit berät und vertritt Marc Heidemann Mandanten in verschiedenen Bereichen des Verwaltungsrechts. Schwerpunkte sind unter anderem das Waffenrecht, das Denkmalschutzrecht, das Schulrecht und das Baurecht. Er prüft die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, begleitet Genehmigungsverfahren und vertritt Mandanten vor den zuständigen Verwaltungsgerichten. Dabei geht es oft um Fragen zu behördlichen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die berufliche oder private Situation der Betroffenen haben. Marc Heidemann ist Mitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg und setzt sich kontinuierlich mit aktuellen Entwicklungen im Verwaltungsrecht auseinander. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachartikel zu verwaltungsrechtlichen Themen.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *