Wann sind Arbeiten am Dachstuhl Instandhaltungsmaßnahmen und damit noch genehmigungsfrei?

Wer umfangreichere Arbeiten im Rahmen einer Sanierung an seinem Dachstuhl vornehmen möchte, steht vor der Frage, ob sein Vorhaben genehmigungsfrei ist oder ob es einer Baugenehmigung bedarf. Ein genehmigungsfreies „Eindecken“ im Sinne der Landesbauordnungen dürfte bei Arbeiten am Dachstuhl in der Regel nicht mehr gegeben sein, da hiermit das oberflächige Eindecken im Sinne von Dachdeckerarbeiten zu verstehen ist. Somit gelangt man bei Arbeiten am Dachstuhl zwangsläufig zu der Frage ob es sich bei den Arbeiten noch um genehmigungsfreie Instandhaltungsmaßnahmen am Dachstuhl handelt oder nicht.

Definition der Instandhaltungsmaßnahmen

Unter Instandhaltungsmaßnahmen der Landesbauordnungen sind in der Regel bauliche Maßnahmen zu verstehen, die der Erhaltung der Gebrauchsfähigkeit und der baulichen Substanz einer Anlage dienen, ohne deren Charakter zu verändern. Sie erfassen – als Oberbegriff – neben den bestands- und werterhaltenden Unterhaltungsmaßnahmen auch Instandsetzungsmaßnahmen, bei denen einzelne Bauteile ausgebessert und gegebenenfalls ausgetauscht werden, um durch Abnutzung, Alterung, Witterung oder sonstige Einflüsse entstandene Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen. 

Was sind „keine wesentlichen Änderungen“?

Maßgebend ist, dass die Identität der baulichen Anlage einschließlich ihres Nutzungszwecks gewahrt bleibt. Der Dachstuhl darf hinsichtlich Konstruktion, Standsicherheit, Bausubstanz und äußerem Erscheinungsbild keine wesentlichen Änderungen erfahren. 

Danach ist Kennzeichen dieser Identität, dass das ursprüngliche Gebäude nach wie vor als „Hauptsache“ erscheint. 

Wann kann ein Identitätsverlust angenommen werden?

a) Statische Nachberechnungen erforderlich?

Ein Identitätsverlust tritt ein, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Juli 2022 – OVG 10 B 1/21 -, juris Rn. 44; siehe auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Januar 2015 – OVG 10 N 63/11 -, juris Rn. 5; zu § 29 BauGB BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1974 – IV C 75.71 -, juris Rn. 18; Urteil vom 14. April 2000 – 4 C 5.99 -, juris Rn. 26; Beschluss vom 10. Oktober 2005 – BVerwG 4 B 60.05 -, juris Rn. 4). Dies ist der klassische Fall, in dem die Grenze zur reinen Instandhaltungsmaßnahme überschritten wird. Viele Bauherren übersehen hierbei aber, dass allein die Notwendigkeit einer statischen Neuberechnung nicht allein ausschlaggebend für die Abgrenzung von Instandhaltungsmaßnahmen zu genehmigungspflichtigen Baumaßnahmen ist.


b) Ebenso: Maß der Arbeiten, insbesondere Bausubstanz ausgetauscht

Ein Identitätsverlust kann aber auch vorliegen, wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird oder die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. November 2023 – OVG 10 N 49/23 –, Rn. 9, juris).

So heißt es in einem Urteil zu dieser Thematik:

Vor diesem Hintergrund liegt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, ein Identitätsverlust vor. Bereits mit dem Austausch der gesamten Dachkonstruktion (…) wird ein erheblicher Austausch der vorhandenen Bausubstanz bewirkt, der dazu führt, dass die vorgenommenen Baumaßnahmen über bloße Instandhaltungsmaßnahmen hinausgehen und praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen. Dementsprechend stellt sich die Genehmigungsfrage insgesamt neu. 

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. November 2023 – OVG 10 N 49/23 –, Rn. 14, juris

Fazit: Äußerliches Erscheinungsbild im Ergebnis allein nicht maßgebend

Eine „Identität“ in diesem Sinne bezieht sich nicht allein auf das äußere Erscheinungsbild des Bauwerks, sondern maßgeblich auf die bauliche Substanz der zuvor bestehenden baulichen Anlage. Demnach ist es in der Rechtsprechung geklärt, dass auch wenn das Erscheinungsbild unangetastet bleibt und das Bauvolumen nicht erweitert wird, die vorgenommenen Maßnahmen den Umgang genehmigungsfreier Instandhaltungsmaßnahmen überschreiten können. Entscheidend sind Art und Umfang der Baumaßnahmen. Bei Instandhaltungsarbeiten wird die Bausubstanz grundsätzlich erhalten und nicht ausgetauscht, weshalb der teilweise oder vollständige Austausch von Bausubstanz grundsätzlich genehmigungspflichtig ist (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. November 2023 – OVG 10 N 49/23 –, Rn. 10, juris). 

Die Instandhaltung ist damit inhaltlich von einer genehmigungspflichtigen (Neu-)Errichtung oder Änderung einer baulichen Anlage abzugrenzen (so bereits OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Juli 2013 – OVG 10 N 39/13 -, juris Rn. 5 m.w.N.; Beschluss vom 22. Dezember 2016 – OVG 10 S 42/15 -, juris Rn. 4). Bei einem Austausch der Substanz ist gerade der errichtete Baukörper nicht mehr identisch mit dem zuvor Vorhandenen.

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

RA Marc Heidemann konzentriert sich auf das Verwaltungsrecht und deckt eine breite Palette an verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten ab. Seine Schwerpunkte liegen insbesondere im Waffenrecht, Denkmalschutzrecht und Baurecht. Bei verwaltungsrechtlichen Fragen bietet er zudem Unterstützung im Arbeits- und Zivilrecht. Entdecken Sie sein Fachwissen für Ihre rechtlichen Belange.

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