Die Ablehnung von Beweisanträgen als Verstoß gegen § 108 Absatz 2 VwGO

Im Berufungszulassungsverfahren stellt sich oft die Frage, inwiefern man sich auf abgelehnte Beweisanträge berufen kann.

Prozessrechtliche Zulässigkeit der Ablehnung von Beweisanträgen

Die Ablehnung von Beweisanträgen als unerheblich ist prozessrechtlich zulässig. 

Das bedeutet, dass ein Gericht nicht verpflichtet ist, jedem Beweisantrag nachzugehen. Entscheidend ist, ob die beantragte Beweiserhebung für die Entscheidung von Bedeutung ist. Da nicht jede Ablehnung eines Beweisantrags automatisch zu einem Verfahrensmangel führt, ist eine sorgfältige Prüfung erforderlich, ob das Gericht seinen Beurteilungsspielraum in rechtlich zulässiger Weise ausgeübt hat.

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör?

Ein zentrales verfassungsrechtliches Prinzip ist der Anspruch auf rechtliches Gehör, verankert in Art. 103 Abs. 1 GG und konkretisiert in § 108 Abs. 2 VwGO. Dieser Grundsatz gewährleistet, dass Beteiligte eines Verwaltungsgerichtsverfahrens die Möglichkeit haben, ihre Argumente und Beweismittel in das Verfahren einzubringen.

Das Verwaltungsgericht kann diesen Anspruch verletzen, wenn es die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge ohne ausreichende Begründung oder unter Missachtung wesentlicher Tatsachen ablehnt. Insbesondere sind Beweisanträge zu berücksichtigen, die sich auf entscheidungserhebliche Tatsachen beziehen, also solche, die nach der materiellen Rechtsauffassung des Gerichts für den Ausgang des Verfahrens relevant sind.

Die Ablehnung oder Nichtberücksichtigung solcher Anträge kann dann eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG darstellen, wenn sie objektiv keine rechtliche Grundlage im Prozessrecht findet. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts hebt hervor, dass eine solche Ablehnung nicht willkürlich erfolgen darf (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25. März 2020 – 2 BvR 113/20 – juris Rn. 45 und vom 20. Dezember 2018 – 1 BvR 1155/18 – juris Rn. 11; BVerwG, Beschlüsse vom 22. September 2020 – 1 B 39.20 – juris Rn. 12 und vom 21. Januar 2020 – 1 B 65.19 – juris Rn. 17).

Rechtsgedanke des § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO

Ein relevanter Aspekt zur Ablehnung von Beweisanträgen ergibt sich aus der strafprozessualen Vorschrift des § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO, die analog herangezogen werden kann. Danach kann ein Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache für die Entscheidung ohne Bedeutung, also unerheblich ist.

Dies gilt insbesondere dann, wenn die zu beweisenden Tatsachen, selbst wenn sie sich als wahr herausstellen, keinen Einfluss auf die Entscheidung haben könnten. Damit ist klargestellt, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, jeden Beweisantrag zuzulassen, sondern eine rechtliche Prüfung der Entscheidungserheblichkeit vornehmen darf und muss.

Begrenzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet nicht, dass jeder vorgebrachte Beweis automatisch berücksichtigt werden muss. Vielmehr bezieht er sich nur auf entscheidungserhebliches Vorbringen. Das Gericht ist daher nicht verpflichtet, Beweisanträgen nachzugehen, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen für die rechtliche Würdigung der Angelegenheit ohne Belang sind.

Maßstab für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit

Ein wesentlicher Maßstab für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist die sachlich-rechtliche Auffassung des Verwaltungsgerichts. Ein Verfahrensfehler liegt nur dann vor, wenn das Gericht nicht so verfahren ist, wie es bei Zugrundelegung seiner eigenen Rechtsauffassung geboten gewesen wäre. Entscheidend ist also, ob das Gericht innerhalb des rechtlich zulässigen Beurteilungsspielraums geblieben ist oder diesen überschritten hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. September 2017 – 1 B 118.17 – juris Rn. 5, vom 22. Juni 2007 – 10 B 56.07 – juris Rn. 9, und vom 18. Juni 1996 – 9 B 140.96 – juris Rn. 5; OVG NRW, Beschlüsse vom 10. April 2024 – 1 A 1657/23.A – juris Rn. 41, vom 28. Dezember 2022 – 6 A 928/21.A – juris Rn. 11).

Meinung

Zusammenfassend zeigt sich, dass die Ablehnung von Beweisanträgen grundsätzlich möglich ist, jedoch bestimmten prozessualen und verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen muss. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt dann vor, wenn das Gericht relevante Beweisanträge ohne ausreichende Begründung oder ohne rechtliche Grundlage ablehnt. Entscheidend ist die sachlich-rechtliche Auffassung des Gerichts und ob es seinen Ermessensspielraum ordnungsgemäß ausgeübt hat. Die Rechtsprechung zeigt, dass eine unzulässige Ablehnung von Beweisanträgen gerichtlich beanstandet werden kann, sofern sie nicht auf einer tragfähigen rechtlichen Grundlage beruht. Sie zeigt aber auch, dass ein abgelehnter Beweisantrag nicht per se zu einem Verfahrensmangel führt.

RA Heidemann, Rechtsanwalt Verwaltungsrecht

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

Marc Heidemann ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Verwaltungsrecht und in Hamburg tätig. Seine juristische Ausbildung absolvierte er an der Universität Hamburg, wo er sich intensiv mit den Bereichen Rechtspflege, Internationales Privatrecht, Insolvenzrecht sowie Zwangsvollstreckungs- und Kreditsicherungsrecht befasste. Sein Referendariat führte ihn an das Oberlandesgericht Celle mit einer verwaltungsrechtlichen Spezialisierung am Verwaltungsgericht Stade, insbesondere in den Bereichen Gewerberecht, Öffentliches Baurecht und Landwirtschaftsrecht. Zusätzlich erwarb er eine verwaltungsrechtliche Zusatzqualifikation an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. In seiner anwaltlichen Tätigkeit berät und vertritt Marc Heidemann Mandanten in verschiedenen Bereichen des Verwaltungsrechts. Schwerpunkte sind unter anderem das Waffenrecht, das Denkmalschutzrecht, das Schulrecht und das Baurecht. Er prüft die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, begleitet Genehmigungsverfahren und vertritt Mandanten vor den zuständigen Verwaltungsgerichten. Dabei geht es oft um Fragen zu behördlichen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die berufliche oder private Situation der Betroffenen haben. Marc Heidemann ist Mitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg und setzt sich kontinuierlich mit aktuellen Entwicklungen im Verwaltungsrecht auseinander. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachartikel zu verwaltungsrechtlichen Themen.

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