Die Entbehrlichkeit der Zustimmung des Nachbarn zur Nichteinhaltung der Mindestabstandsflächen

Die Zustimmung des Nachbarn zur Nichteinhaltung der Mindestabstandsflächen durch ein Vorhaben kann entbehrlich sein, wenn der Nachbar selbst in vergleichbarer Weise das Mindestabstandsgebot nicht einhält. Als Anwalt mit Schwerpunkt Verwaltungsrecht in Hamburg berate ich Sie gerne zu diesem Thema.

Grundsatz von Treu und Glauben

Es entspricht mittlerweile gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung, dass sich ein Nachbar nach Treu und Glauben gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen kann, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht dieser Vorschrift entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen (BayVGH, Urt. v. 04.02.2011 – 1 BV 08.131 –, Juris; VGH BW, Beschl. v. 29.09.2010 – 3 S 1752/10 –, Juris). Insbesondere kann ein Grundstücksnachbar Abwehrrechte gegen die Verletzung abstandflächenrechtlicher Vorschriften durch ein Bauvorhaben grundsätzlich insoweit nicht geltend machen, als die Bebauung auf seinem Grundstück gegenüber dem Nachbargrundstück in vergleichbarem Umfang die nach dem geltenden Recht erforderlichen Abstandflächen nicht einhält (Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 2 M 157/11 –, Rn. 9, juris mit Verweis auf: OVG BBg, Beschl. v. 11.08.2010 – 10 N 17.07 – Juris; HessVGH, Urt. v. 17.03.2010 – 3 B 201/10 –, DÖV 2010, 569; OVG NW, Beschl. v. 12.02.2010 – 7 B 1840/09 –, Juris; OVG MV, Beschl. v. 14.07.2005 – 3 M 69/05 –, NordÖR 2005, 424, m.w.N.;)

Voraussetzungen 

Doch hier ist Vorsicht geboten. Es bedarf einer weiteren Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Entbehrlichkeit der Zustimmung gegeben sind. Die Voraussetzungen für die Entbehrlichkeit der Zustimmung sind demnach im Einzelnen die (1) Gleichgewichtigkeit der Verstöße sowie (2) keine Unzumutbarkeit.

a) Gleichgewichtigkeit des Verstoßes

Für die Vergleichbarkeit wechselseitiger Abstandflächenverletzungen kommt es allerdings nicht auf eine rein mathematische, sondern eine wertende Betrachtung an (OVG MV, Beschl. v. 14.07.2005 – 3 M 69/05 –, juris, RdNr. 35). 

In einem ersten Schritt wird geprüft, ob sich die Verstöße flächenmäßig in etwa die Waage halten.

b) keine Unzumutbarkeit, Nachbarliche Belange: Belichtung, Belüftung, Besonnung, Sozialabstand

In einem zweiten Schritt wird geprüft, ob die Akzeptanz des zusätzlichen Verstoßes unzumutbar ist.

Für die Bewertung des Gewichts des Abstandflächenverstoßes sind in erster Linie diejenigen Beeinträchtigungen der durch die Abstandflächenvorschriften geschützten nachbarlichen Belange in den Blick zu nehmen, insbesondere die Belange des Brandschutzes, die Belichtung, Belüftung und Besonnung des Nachbargrundstücks sowie die Wahrung eines ausreichenden Sozialabstands (vgl. OVG NW, Beschl. v. 12.02.2010 – 7 B 1840/09 –, juris, RdNr. 14). Im Ergebnis darf es hier nicht zu schlechthin untragbaren, als Misstand zu qualifizierenden Verhältnissen kommen.

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

Marc Heidemann ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Verwaltungsrecht und in Hamburg tätig. Seine juristische Ausbildung absolvierte er an der Universität Hamburg, wo er sich intensiv mit den Bereichen Rechtspflege, Internationales Privatrecht, Insolvenzrecht sowie Zwangsvollstreckungs- und Kreditsicherungsrecht befasste. Sein Referendariat führte ihn an das Oberlandesgericht Celle mit einer verwaltungsrechtlichen Spezialisierung am Verwaltungsgericht Stade, insbesondere in den Bereichen Gewerberecht, Öffentliches Baurecht und Landwirtschaftsrecht. Zusätzlich erwarb er eine verwaltungsrechtliche Zusatzqualifikation an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. In seiner anwaltlichen Tätigkeit berät und vertritt Marc Heidemann Mandanten in verschiedenen Bereichen des Verwaltungsrechts. Schwerpunkte sind unter anderem das Waffenrecht, das Denkmalschutzrecht, das Schulrecht und das Baurecht. Er prüft die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, begleitet Genehmigungsverfahren und vertritt Mandanten vor den zuständigen Verwaltungsgerichten. Dabei geht es oft um Fragen zu behördlichen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die berufliche oder private Situation der Betroffenen haben. Marc Heidemann ist Mitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg und setzt sich kontinuierlich mit aktuellen Entwicklungen im Verwaltungsrecht auseinander. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachartikel zu verwaltungsrechtlichen Themen.

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