Ausnahme Schulbezirk Niedersachsen: Hohe Voraussetzungen
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Möchten Eltern ihre Kinder in einen anderen Schulbezirk zur Schule schicken, besteht prozessual die Möglichkeit, die zuständige Schule im Sinne von § 63 Abs. 1 und 3 NSchG im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, eine Ausnahmegenehmigung für den Besuch einer anderen anstelle der vorgesehenen Schule zu erteilen. Dies richtet sich nach den §§ 123 Absatz 3 VwGO, 920 Absatz 2, 294 ZPO. Danach muss ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden. Dies geschieht entweder unter dem Gesichtspunkt der unzumutbaren Härte des Besuchs der zuständigen Schule (§ 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 NSchG) oder unter dem Gesichtspunkt der Gebotenheit aus pädagogischen Gründen (§ 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG). Als Anwalt für Schulrecht in Hamburg berate ich Sie gerne.
Die materiellen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Ausnahme vom Schulbezirk
Grundsätzlich haben Schülerinnen und Schüler, soweit für Schulen Schulbezirke festgelegt sind, nach § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG diejenige Schule zu besuchen, in deren Schulbezirk sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Abweichend davon kann in den Fällen des § 63 Abs. 3 Satz 4 Nrn. 1 und 2 NSchG ausnahmsweise der Besuch einer anderen Schule gestattet werden, wenn der Besuch der zuständigen Schule für die betroffene Schülerin bzw. den betroffenen Schüler oder deren/dessen Familie eine unzumutbare Härte darstellen würde (Nr. 1) oder der Besuch einer anderen Schule aus pädagogischen Gründen geboten erscheint (Nr. 2). Die Regelung dient dem öffentlichen Interesse an einer Beibehaltung der Schulbezirkseinteilung und der damit verbundenen sinnvollen Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die Schulen (vgl. auch OVG Nds. v. 31.7.2018 – 2 ME 405/18 – juris Rn. 25, v. 4.9.2015 – 2 ME 252/15 – juris Rn. 36 und v. 20.8.2012 – 2 ME 343/12 – juris).
a) Unzumutbare Härte für den Schüler oder die Familie
Der unbestimmte Rechtsbegriff der unzumutbaren Härte, der durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit vollständig überprüfbar ist, unterliegt den allgemeinen Auslegungsregeln.
Die Darlegung einer unzumutbaren Härte im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 NSchG verlangt mehr als das Anführen sachlicher Gründe oder den Hinweis auf reine Unbequemlichkeiten!
Die Annahme einer eine Ausnahme rechtfertigenden „Härte“ setzt regelmäßig voraus, dass ein atypischer Sachverhalt vorliegt, bei dem die Anwendung der für den Regelfall geschaffenen Rechtsvorschrift, den Leitvorstellungen des Gesetzgebers nicht mehr entspricht. Mit der Härtefallregelung des § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 NSchG sollen regelmäßig die schwerwiegenden Umstände erfasst werden, denen sich eine Schülerin und ein Schüler bzw. ihre/seine Familie nicht entziehen kann.
Eine unzumutbare Härte ist erst dann anzunehmen, wenn die Nachteile, die ein Schüler bei dem Besuch der zuständigen Pflichtschule zu erleiden hätte, ungleich schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an einer Beibehaltung der Schulbezirkseinteilung und der damit verbundenen sinnvollen Verteilung der Schüler auf die von einem Schulträger angebotenen Schule. Die Annahme einer unzumutbaren Härte muss sich aus der besonderen Situation des Einzelfalls ergeben. Dieser muss es schließlich rechtfertigen, dem sich hierauf berufenden Schüler und/oder seinen Erziehungsberechtigten im Verhältnis zu dem öffentlichen Interesse an der Beachtung der Schulbezirkseinteilung ausnahmsweise eine Sonderstellung einzuräumen (vgl. NDS. OVG. v. 13.9.2016 – 2 ME 180/16 -, v. 4.9.2015 – 2 ME 252/15 -, juris Rn. 36, v. 24.8.2012 – 2 ME 336/12 -, juris Rn. 9, und v. 20.8.2012 – 2 ME 343/12 -, juris Rn. 6).
(1) Länge des Schulweges
Grundsätzlich ist es auch Schulanfängern grundsätzlich zumutbar, auch einen längeren Schulweg nach einer gewissen Einübungszeit ohne Begleitung der Eltern oder anderer Erwachsener zurückzulegen (vgl. auch Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchG, Stand April 2018, § 63 Anm. 5.2.1).
Die Zumutbarkeit des Schulweges ist zudem unter Zugrundelegung einer ordnungsgemäß erfolgenden Schülerbeförderung zu beurteilen (vgl. OVG Nds. v. 4.9.2015 – 2 ME 252/15 -, juris Rn. 38). Denn Schülern steht gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 NSchG ein Anspruch auf Schülerbeförderung zu.
Insofern kann die Länge des Schulwegs und die Erreichbarkeit der Schule unerheblich sein, wenn ein Anspruch auf Schülerbeförderung besteht und diese ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Anspruch auf Schülerbeförderung kann nötigenfalls gerichtlich – gegen den Träger der Schülerbeförderung durchgesetzt werden.
Besteht ein Anspruch auf Schülerbeförderung und ist dem Schüler oder der Schülerin die Inanspruchnahme der Schülerbeförderung hinsichtlich des Schulweges zur zuständigen Schule zuzumuten, kommt es hinsichtlich des Bestehens einer unzumutbaren Härte rechtlich nicht darauf an, ob bei einer anderen Schule die Möglichkeit besteht, den Schüler oder die Schülerin bequemer bringen und abholen zu können oder beispielsweise ob der Schüler oder die Schülerin von einer befreundeten Familie zu der anderen Schule mit gebracht bzw. abgeholt werden könnte. Denn es gibt keinen Anspruch auf Besuch derjenigen Schule, welche nach den Lebensumständen der Eltern oder befreundeter Familien am günstigsten anzufahren ist.
(2) Berufstätigkeit beider Eltern
Eine rechtlich schutzwürdige Position resultiert regelmäßig nicht aus Berufstätigkeit beider Elternteile, weil ein derartiger Umstand heute nicht (mehr) als Ausnahmesituation und atypischer Sachverhalt anzusehen ist, sondern typischerweise eine größere Anzahl von Schülerinnen und Schülern und deren Familien betrifft. Etwas Anderes kann im Einzelfall aber dann gelten, wenn mit der berufsbedingten Belastung der Erziehungsberechtigten weitere Umstände einhergehen, die sich erheblich auf die Betreuungssituation des schulpflichtigen Kindes auswirken.
(3) Medizinische Gründe
Entwicklungsstörungen wegen Verlust des bisherigen Freundeskreises?
Die Trennung von bisherigen Kindergartenfreunden stellt grundsätzlich keine unzumutbare Härte dar. Umorientierungen im Freundeskreis sind vielmehr typischer Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung im schulischen Umfeld (vgl. OVG Nds. v. 13.9.2016 – 2 ME 180/16 -, juris). Schüler und Schülerinnen können nicht umfassend vor allgemeinen lebenstypischen einschneidenden Veränderungen, beispielsweise dem Übergang vom Kindergarten zur Grundschule, geschützt werden.
Bei grundsätzlich anzunehmender Schulfähigkeit ist zudem davon auszugehen, dass ein Schüler oder eine Schülerin die Herausforderungen eines Umfeldwechsels wird meistern können. Hinzu kommt, dass auch bei einem Besuch der Wunschschule niemand davor geschützt wäre, dass sich bisherige Freunde anders orientieren und bisherige Freundschaften unter Umständen keinen Bestand mehr haben. Die Fortführung bisheriger Freundschaften ist zudem auch außerhalb des Schulbetriebes möglich.
b) Pädagogische Gebotenheit des Besuchs der anderen Schule
Aufgrund des Ausnahmecharakters des § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG verlangt die Darlegung „pädagogischer Gründe“ ebenso wie die Darlegung einer „unzumutbaren Härte“ mehr als das Anführen sachlicher Gründe oder den Hinweis auf reine Unbequemlichkeiten, die sich mit dem Besuch der zuständigen Schule ergeben könnten.
Pädagogische Gründe“ können vorliegen, wenn die pädagogischen Nachteile, die eine Schülerin bzw. ein Schüler bei dem Besuch der zuständigen Pflichtschule zu erleiden hätte, ungleich schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an einer sinnvollen Verteilung der Schülerströme auf die nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zuständige Schule (vgl. auch Beschl. v. 20.8.2012 – 2 ME 343/12 – juris Rn. 6 m.w.N).
Dafür müssen atypische Umstände gegeben sein, die deutlich über die Belastungen hinausgehen, die regelmäßig mit dem Besuch der Pflichtschule verbunden sind und bei deren Vorliegen es den auf den Normalfall bezogenen Leitvorstellungen des Gesetzgebers nicht mehr entspräche, die betroffene Schülerin bzw. den betroffenen Schüler der zuständigen Pflichtschule zuzuweisen; diese Umstände müssen zugleich den Besuch der Wunschschule gebieten (vgl. auch OVG Nds. v. 31. Juli 2018 – 2 ME 405/18 – juris Rn. 24, v. 4.9.2015 – 2 ME 252/15 – juris Rn. 36 und v. 20.8.2012 – 2 ME 343/12 – juris Rn. 6).
(1) Soziale Gründe
Es können grundsätzlich pädagogisch-psychologische und soziale Gründe und des Weiteren Schwierigkeiten einer Schülerin in ihrer Klassengemeinschaft oder erheblich gestörte Beziehungen zwischen der Schülerin und/oder ihrer Erziehungsberechtigten auf der einen und den Lehrkräften auf der anderen Seite in besonders gelagerten Einzelfällen unter Umständen als pädagogische Gründe im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG in Betracht kommen (OVG Nds, Beschl. v. 19.8.2010 – 2 ME 276/10 -; Brockmann, in: Brockmann/Littmann/ Schippmann, NSchG, Stand: April 2012, § 63 Anm. 5.2.2 m. w. N.). Die Anforderungen an die Darlegungen sind hier jedoch regelmäßig hoch.