Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kann die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, die Vollziehung des Verwaltungsaktes anordnen. Die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes wird angeordnet, wenn die Behörde meint, der Verwaltungsakt müsse sofort durchgesetzt werden. Durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung entfällt die aufschiebende Wirkung von Anfechtungsklage und Widerspruch. Relevant wird die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
I. Unzuständiges Organ innerhalb der an sich zuständigen Behörde handelt
Inhaltsverzeichnis
§80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO knüpft zunächst an die sachliche Behördenzuständigkeit für den Erlass des Verwaltungsaktes an.
Damit ist jedenfalls in Niedersachsen nicht zugleich ausgesagt, dass eine funktionelle Zuständigkeit innerhalb der Verwaltungsbehörde für die Anordnungsbefugnis stets unbeachtlich ist (OVG Lüneburg 10. Senat, Beschluss vom 11.07.2014, 10 ME 99/13).
Bestehen nach dem materiellen Recht innerhalb einer Behörde verschiedene Organe mit getrennten Entscheidungskompetenzen und obliegt einem nur die Ausführung, bewusst aber nicht die Willensbildung, so ist nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht insbesondere für den Bereich des Kommunalrechts anerkannt, dass die fehlende “Beteiligung“ des richtigen, zur Entscheidung berufenen Organs nach außen wirkt und zur Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes führt.
Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG scheidet aus. Denn entscheidet das zuständige Organ überhaupt nicht, weil ein unzuständiges Organ entscheidet, dann leidet die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht tragend an einer unzureichenden Begründung, sondern an der Unzuständigkeit.
Insoweit kommt also allenfalls eine Heilung durch entsprechende Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG in Betracht.
Sinn und Zweck ist es, eine offene Situation nachträglich aufzulösen und dem an sich zuständigen Organ eine nachträgliche Möglichkeit zu geben, ergebnissoffen nachzuarbeiten.
Aber hier ist eine Heilung in einem laufenden Verfahren ausgeschlossen, wenn die Entscheidung des unzuständigen Organs schon vollzogen ist. Denn dann ist keine offene Situation mehr gegeben und damit das Ziel, eine ergebnisoffene Entscheidung durch das an sich zuständige Organ nachträglich zu ermöglichen, nicht mehr zu erreichen (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 27.10.2008 – 15 K 1352/07 – juris, Rn. 30, m. w. N).
II. Gesonderte Anhörung nach § 28 VwVfG erforderlich?
a. h.M.: Grundsätzlich keine Anhörung erforderlich
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nach überwiegender Ansicht kein Verwaltungsakt. Überwiegend wird in der Folge die direkte und analoge Anwendung von § 28 VwVfG abgelehnt.
b. aA: OVG Lüneburg
Nach Ansicht des OVG Lüneburg ist § 28 VwVfG Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, so dass das Anhörungsgebot bei Fehlen besonderer Rechtsvorschriften unmittelbar aufgrund der Verfassung gilt und eine entsprechende Anwendung des § 28 VwVfG gebietet.
Im Ergebnis kommen aber beide Meinungen zum selben Ergebnis. Es ist nämlich auch nach dem OVG Lüneburg grundsätzlich unschädlich., wenn der Adressat des Verwaltungsaktes vorher nicht angehört wurde und wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem zu vollziehenden Verwaltungsakt ergeht. Es genügt, dann wenn der Betroffene Gelegenheit hatte, sich zu dem Verwaltungsakt selbst zu äußern.
c. Besonderheit: Zäsur zwischen Erlass und Anordnung der sofortigen Vollziehung
In Niedersachsen sind im Einklang mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, Beschluss vom 10-06-1992 – 7 M 3839/91, Besonderheiten zu beachten:
So verhält es sich im Vergleich zur obigen Ausgangssituation (Synchronizität von Erlass des Verwaltungsaktes und der Vollziehungsanordnung) anders, wenn nach Erlass des Verwaltungsaktes ein erheblicher Zeitraum, z.B. mehrere Monate verstrichen sind und ein früher gestellter Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes durch die erlassende Behörde zunächst nicht weiterverfolgt wurde.
In einem solchen Fall muss der Adressat des Verwaltungsaktes nicht mit der jederzeitigen Vollziehung des Verwaltungsaktes rechnen; die Untätigkeit der Behörde kann ihn darauf vertrauen lassen, sie werde auch weiterhin von einem Vollzug absehen, und ihn infolgedessen hindern, sich rechtzeitig auf einen solchen einzustellen. Auch kann sich in der Zwischenzeit die Sach- und Interessenlage seit Erlass des Verwaltungsaktes verändert haben. Der Adressat muss die Möglichkeit erhalten, solche Umstände der Behörde zu unterbreiten, damit sie diese in ihre Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung einfließen lassen kann (vgl. dazu auch Ganter, DÖV 1984, 970 (971)).
II. Begründungsdichte und Einzelfallbezogenheit
Die Voraussetzungen des § 80 III 1 VwGO sind erfüllt, wenn der Bescheid eine schriftliche Sofortvollzugsanordnung enthält, die zudem ausreichend schriftlich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides begründet.
Die Anordnung muss ausreichend das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides begründen. Die Ausführungen zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung müssen sich erkennbar von den Gründen für den Erlass der Verfügung selbst ab abheben. Es bedarf einer einzelfallbezogenen, nicht lediglich formelhaften Darlegung. Die Begründungsausführungen müssen also ausreichend erkennen lassen, dass sich der den Verwaltungsakt erlassende. der besonderen Lage des § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3, Satz 1 VwGO bewusst gewesen ist. Desto höher das in Rede stehende Rechtsgut aber ist, desto geringer werden die Anforderungen an die Begründungsdichte.
a. Fehlerfolge: Aufhebung der sofortigen Vollziehungsanordnung
Ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig, führt dies nicht unabdingbar zur Begründetheit eines Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung! Regelmäßig hat dies dann nur die Aufhebung der Vollzugsanordnung zur Folge. Gegen eine lediglich aus der formellen Rechtswidrigkeit folgenden Begründetheit des Antrages spricht bereits der Grundsatz der Prozessökonomie. Denn die Behörde könnte in der Folge ohne Weiteres denselben Verwaltungsakt mit rechtmäßiger Vollziehungsanordnung erlassen.
b. Heilungsmöglichkeiten der Behörde in Niedersachsen? (+)
Überwiegend wird vertreten, dass eine Heilung der unzureichenden Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung auch noch im Gerichtsverfahren möglich ist (So: OVG Koblenz NVwZ 1985, 919).
Dem folgt dem nun auch das OVG Niedersachsen (OVG Lüneburg 7. Senat, Beschluss vom 15.04.2014, 7 ME 121/13).
§ 45 Abs. 1 VwVfG ist nicht unmittelbar auf Mängel der Anordnung der sofortigen Vollziehung anwendbar, weil es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Ob sie entsprechend anzuwenden ist oder dem insbesondere die Warnfunktion des Begründungserfordernisses nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entgegensteht, ist umstritten.
Da aber nach § 45 Abs. 2 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG) Verfahrensfehler bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens geheilt werden können, sind keine durchgreifenden Gründe ersichtlich, die gegen eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwVfG auch im Falle eines Begründungsmangels nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sprechen.
Zumal die Verwaltungsgerichte nicht an eine ordnungsgemäße Begründung der Verwaltungsbehörde gebunden sind, sondern eine eigene Entscheidung über die Frage zu treffen haben, ob der Sofortvollzug materiell gerechtfertigt ist, lässt sich dafür insbesondere das Argument der Prozessökonomie ins Feld führen. Eine Behörde wäre nämlich nach wohl einhelliger Auffassung befugt, eine lediglich unzureichend begründete Vollziehungsanordnung mit der nachgeschobenen Begründung erneut zu erlassen.