Die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO

Eine Untätigkeitsklage kann nach § 75 Satz 1 VwGO erhoben werden, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

1) Zulässigkeit

Die Frage, ob mit „zureichendem Grund“ über einen Antrag noch nicht entschieden worden ist, ist nicht im Rahmen der Zulässigkeit der Klage zu prüfen. Es handelt sich vielmehr um eine Frage der Spruchreife als Teil der Begründetheit der Klage, denn bei Vorliegen eines „zureichenden Grundes“ ist die Klage gleichwohl zulässig, das Verfahren jedoch gemäß § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen und der Beklagten eine Frist zur Entscheidung zu gewähren (Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 – 4 C 30.86 -, NVwZ 1987, 969 (juris Rn. 12); VG München, Urteil vom 8. Februar 2016 – M 24 K 15.31419 -, NVwZ 2016, 486 (juris Rn. 28); VG Osnabrück, Urteil vom 7. April 2021 – 5 A 515/20 -, Asylmagazin 2021, 234 (juris Rn. 18).

a) Frist

§ 75 Satz 2 VwGO bestimmt eine Frist für die Erhebung der Untätigkeitsklage. Nach dieser Norm kann die Klage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn wegen besonderer Umstände des Falls eine kürzere Frist geboten ist. Die Einhaltung dieser Frist ist eine besondere Prozessvoraussetzung, nach deren Ablauf eine erhobene Klage unabhängig davon zulässig ist, ob sich die Verzögerung der Verwaltungsentscheidung als unzureichend begründet erweist oder nicht (Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. März 1973 – 4 C 2.71 -, BVerwGE 42, 108 (juris Rn. 25 f.), und vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17 -, BVerwGE 162, 331, Rn. 14).

Im Einzelnen ist es umstritten, ob es für den Ablauf der Sperrfrist auf den Zeitpunkt der Erhebung der Klage ankommt (Brenner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 75 Rn. 41; Peters, in: Posser/Wolff, VwGO, Stand: Januar 2022, § 75 Rn. 9) oder ob es genügt, wenn die Frist im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abgelaufen ist (BVerwG, Urteile vom 20. Januar 1966 – 1 C 24.63 -, BVerwGE 23, 135 (juris Rn. 16), und vom 24. Februar 1994 – 5 C 24.92 -, BVerwGE 95, 149 (juris Rn. 12).

3) Rechtsschutzbedürfnis

Wird über einen Antrag auf Vornahme eines rechtlich gebundenen, begünstigenden Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund nicht innerhalb angemessener Frist entschieden, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis im Regelfall nur für die auf Vornahme gerichtete Untätigkeitsklage. 

Bei materiellen Rechten, auf die bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ein rechtlich gebundener Anspruch auf behördliche Zuerkennung besteht, folgt aus § 113 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO, dass bei verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde die Untätigkeitsverpflichtungsklage grundsätzlich auf eine konkrete behördliche Sachentscheidung zu beziehen ist und das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hat (Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, 80 (juris Rn. 14), und vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17 -, BVerwGE 162, 331, Rn. 22 ff.).

Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Maßgeblich ist vielmehr, ob im konkreten Fall ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für die Beschränkung auf einen Bescheidungsantrag besteht (Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17 -, BVerwGE 162, 331, Rn. 22, und Beschluss vom 27. November 2019 – 8 B 32.19 -, ZOV 2020, 68, Rn. 3.).

Die erforderlichen Gründe für eine reine Bescheidungsklage müssen nach Art und Gewicht hinreichen, um ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschränkung annehmen zu können. Dies kann schon dann der Fall sein, wenn sie eine Bescheidungsklage rechtfertigen, und erfordern nicht notwendig, dass sie diese Beschränkung gebieten (Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17 -, BVerwGE 162, 331, Rn. 31).

2. Begründetheit

Eine Untätigkeitsklage ist begründet, wenn die Unterlassung, über den Antrag zu entscheiden, rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). 

a) Aussetzung des Verfahrens nur bei „zureichendem Grund“

Das Verfahren kann aber möglicherweise nach § 75 Satz 3 VwGO unter Setzung einer Frist ausgesetzt werden. 

Denn § 75 Satz 3 VwGO bestimmt, dass das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aussetzt, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist. Es kommt also darauf an, ob im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist ein solcher zureichender Grund ersichtlich ist.

Ob ein „zureichender Grund“ für die Verzögerung vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Bei dieser Beurteilung sind neben den vielfältigen Umständen, die eine verzögerte behördliche Entscheidung dem Grunde nach zu rechtfertigen geeignet sind, auch eine etwaige besondere Dringlichkeit einer Angelegenheit für den Antragsteller zu berücksichtigen. Ein Grund kann nur dann zureichend im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO sein, wenn er mit der Rechtsordnung in Einklang steht. Anerkannt ist, dass sich ein zureichender Grund aus einem besonderen Umfang und besonderen Schwierigkeiten der Sachaufklärung oder des zu entscheidenden Falls ergeben kann. Das Gleiche gilt für die außergewöhnliche Belastung einer Behörde, auf die durch organisatorische Maßnahmen nicht kurzfristig reagiert werden kann (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 2406/16 ‑, NVwZ-RR 2017, 393, Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17 -, BVerwGE 162, 331, Rn. 16; Brenner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 75 Rn. 51; Peters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: Oktober 2021, § 75 Rn. 12).

Es fragt sich daher immer konkret, ob komplexe Fragen in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht einschlägig sind.

Soweit die Gegenseite sich darauf beruft, es fehle an aktuellen Erkenntnissen und es bestünden „besondere Schwierigkeiten der Sachaufklärung, muss sie dies in irgendeiner Weise belegen. Nähere Einzelheiten dazu, welche konkreten Maßnahmen unternommen wurden oder werden sollen, um die von angeführte weiter erforderliche Sachaufklärung voranzutreiben, müssen aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich sein, oder substantiiert vorgetragen werden. Ein konkretes Fortschreiten von Recherche muss entweder aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich sein oder hinreichend konkret vorgetragen werden.

Fehlt es mangels konkreter Darlegungen an einem zureichenden Grund ist nicht geboten, im Rahmen der ausgesprochenen Verpflichtung eine Frist für die Entscheidung über den Antrag zu setzen. § 75 VwGO sieht eine Fristsetzung ausdrücklich nur in den Fällen vor, in denen ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung besteht. Besteht ein solcher Grund nicht, ist die Behörde nach Ablauf der angemessenen Entscheidungsfrist nach § 75 Satz 1 VwGO gehalten, unverzüglich zu entscheiden. 

Bereits während der Dauer des auf Verpflichtung zur Bescheidung gerichteten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wirkt die Pflicht zur behördlichen Entscheidung fort; die Rechtshängigkeit des Bescheidungsbegehrens sperrt nicht die gebotene Durchführung des der Entscheidung vorgelagerten behördlichen Verfahrens. Die gerichtliche Verpflichtung zur Entscheidung über den Antrag, die zudem eine beklagte Behörde nicht überraschend treffen und auf die sich diese vorbereiten kann, bekräftigt diese Rechtspflicht (Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17 -, BVerwGE 162, 331, Rn. 56 f.). 

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

RA Marc Heidemann konzentriert sich auf das Verwaltungsrecht und deckt eine breite Palette an verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten ab. Seine Schwerpunkte liegen insbesondere im Waffenrecht, Denkmalschutzrecht und Baurecht. Bei verwaltungsrechtlichen Fragen bietet er zudem Unterstützung im Arbeits- und Zivilrecht. Entdecken Sie sein Fachwissen für Ihre rechtlichen Belange.

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