„Anlagen für Verwaltungen“ im allgemeinen Wohngebiet (§ 4 Absatz 3 Nummer 3 BauNVO)

„Anlagen für Verwaltungen“ – Weites Begriffsverständnis

Der Begriff „Anlagen für Verwaltungen“ ist – wie Begriff der Anlagen für soziale und gesundheitliche Zwecke – in einem weiten Sinn zu verstehen. 

Der Begriff „Anlagen für Verwaltungen“ ist ein städtebaurechtlicher Sammelbegriff, der Anlagen und Einrichtungen umfasst, in denen oder von denen aus verwaltet wird, sofern das Verwalten einem erkennbaren selbständigen Zweck dient (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2021, § 4 BauNVO Rn. 128 ff.; Schimpfermann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 4 Rn. 11 ff.).

Dieses Verständnis ergibt sich aus der Gesamtschau der Begrifflichkeiten in anderen Regelungen der Baunutzungsverordnung. Dabei handelt es sich um den § 7 Abs. 2 Nr. 1 und § 8 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO. Diese beiden Normen unterscheiden explizit zwischen Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäuden. Daraus wird deutlich, dass eine Anlage der Verwaltung im Allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO nicht auf die Erledigung von Verwaltungsaufgaben in Bürogebäuden beschränkt ist (Stock a. a. O. Rn. 130). 

Ebenfalls nicht gemeint sind zudem Gebäude, die in ihrer Ausgestaltung und Funktionalität einem Büro- oder Verwaltungsgebäude gleichkommen (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2000 – 4 B 1/00, juris Rn. 49).

Die ausnahmsweise Zulässigkeit von Anlagen für Verwaltungen nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO setzt im Übrigen ausweislich des Wortlauts nicht voraus, dass die jeweilige Anlage der Gebietsversorgung dient!

Beispiele für Anlagen für Verwaltungen im allgemeinen Wohngebiet:

Verneint: Ambulanter Pflegedienst, wenn in der Station Pflegeleistungen erbracht werden

Die Räumlichkeiten eines ambulanten Pflegedienstes fallen, selbst wenn dort dessen Verwaltung untergebracht ist, nicht unter die Anlagen für Verwaltungen im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO, wenn in der Station auch Pflegeleistungen erbracht werden (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2009 – 4 B 44/09 mit Verweis auf Stock, in: König/Röser/ Stock, BauNVO, 2. Aufl. 2003, § 3 Rn. 43; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 3 BauNVO Rn. 14; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 3 BauNVO Rn. 109; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl. 2008, § 3 Rn. 19.6).

Bejaht: Feuerwehrgerätehaus

Ein Feuerwehrgerätehaus ist eine Anlage für Verwaltungen, nämlich für die Verwaltung des landesrechtlich geregelten Brandschutzes (BVerwG, Urteil vom 29. März 2022 – 4 C 6.20 mit Verweis auf VGH München, Urteil vom 16. Januar 2014 – 9 B 10.25 28; OVG Magdeburg, Beschluss vom 23. Juni 2020 – 2 M 32/20).

Aber: Wahrung des Gebietscharakters erforderlich (Gebietsverträglichkeit)

Die Qualifikation als Anlage der Verwaltung reicht für die Zulässigkeit eines Vorhabens aber nicht allein aus. Die Rechtsprechung filtert im Einzelfall weiter durch die Aufnahme einer ungeschriebenen Einschränkung. 

Immissionsschutzrechtliche Grenzwerte zunächst nicht relevant

Entscheidend ist zunächst nicht, ob etwa die mit der Nutzung verbundenen immissionsschutzrechtlichen Lärmwerte eingehalten werden. 

§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO an dieser Stelle ebenfalls nicht relevant

Übrigens: Ebenfalls ist das Korrektiv des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO an dieser Stelle (noch) nicht maßgebend. Denn die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO besitzt eine andere Aufgabe. Sie ermöglicht bei singulären Vorhaben eine Vermeidung gebietsunverträglicher Auswirkungen nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung im Einzelfall. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO entscheidet nicht, ob ein Vorhaben überhaupt – also gerade unabhängig vom Einzelfall – mit der Eigenart des Gebietes verträglich ist. Hierfür ist lediglich das Kriterium der Gebietsverträglichkeit maßgebend.

Wahrung des Gebietscharakters erforderlich

Es bleibt an dieser Stelle deshalb dabei, dass die beabsichtigte Nutzung den Gebietscharakter wahren muss.  Somit sind Ausnahmen nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO nicht zulässig, wenn die „Anlage für Verwaltungen“ den Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets gefährdet und damit gebietsunverträglich ist. Das ist der Fall, wenn das Vorhaben – bezogen auf den Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets – aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt.

Das in diesem Artikel relevante allgemeine Wohngebiet dient gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO „vorwiegend dem Wohnen“. Es soll nach Möglichkeit ein ungestörtes Wohnen gewährleisten. Dies prägt seinen Gebietscharakter (BVerwG, Urteil vom 1. November 1974 – BVerwG 4 C 38.71 – BVerwGE 47, 144 <150 ff.>). Ob ein Vorgehen gegen ein Vorhaben Aussicht auf Erfolg hat, erfordert daher in der Regel eine Ortsbegehung und eine objektive Betrachtung durch einen Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Verwaltungsrecht und Öffentliches Baurecht.

Kriterien für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit einer Anlage der Verwaltung im allgemeinen Wohngebiet

  • Dient das Vorhaben nach Größe und Ausstattung maßgeblich (auch) der verbrauchernahen Versorgung?
  • Sind die zu erwartenden Störungen durch Umfang, Einzugsbereich und Zu- und Abgangsverkehr so erheblich, dass sie das einem allgemeinen Wohngebiet immanenten Ruhebedürfnis stören?
  • Wird die allgemeine Zweckbestimmung des Gebiets, nämlich vorwiegend dem Wohnen zu dienen, gefährdet

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

Marc Heidemann ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Verwaltungsrecht und in Hamburg tätig. Seine juristische Ausbildung absolvierte er an der Universität Hamburg, wo er sich intensiv mit den Bereichen Rechtspflege, Internationales Privatrecht, Insolvenzrecht sowie Zwangsvollstreckungs- und Kreditsicherungsrecht befasste. Sein Referendariat führte ihn an das Oberlandesgericht Celle mit einer verwaltungsrechtlichen Spezialisierung am Verwaltungsgericht Stade, insbesondere in den Bereichen Gewerberecht, Öffentliches Baurecht und Landwirtschaftsrecht. Zusätzlich erwarb er eine verwaltungsrechtliche Zusatzqualifikation an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. In seiner anwaltlichen Tätigkeit berät und vertritt Marc Heidemann Mandanten in verschiedenen Bereichen des Verwaltungsrechts. Schwerpunkte sind unter anderem das Waffenrecht, das Denkmalschutzrecht, das Schulrecht und das Baurecht. Er prüft die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, begleitet Genehmigungsverfahren und vertritt Mandanten vor den zuständigen Verwaltungsgerichten. Dabei geht es oft um Fragen zu behördlichen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die berufliche oder private Situation der Betroffenen haben. Marc Heidemann ist Mitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg und setzt sich kontinuierlich mit aktuellen Entwicklungen im Verwaltungsrecht auseinander. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachartikel zu verwaltungsrechtlichen Themen.

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