Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Verfügung muss zulässig und begründet sein.
I. Zulässigkeit
Inhaltsverzeichnis
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vorheriger Antrag nach § 80a Abs. 3, 80 Abs. 6 VwGO erforderlich?
a. herrschende Meinung: Nein
Nach überwiegender Ansicht ist vor Anrufung des Verwaltungsgerichts nicht erforderlich, dass der Antragsteller zuvor einen erfolglosen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung bei der Behörde nach § 80 Abs. 4 VwGO gestellt hat. (Roland Kintz, Öffentliches Recht im Assessorexamen, 6. Auflage, Rz. 281 am Ende).
b. andere Ansicht aber in Niedersachsen maßgeblich: Ja
Folgt man dieser Ansicht in Niedersachsen, kann dies ein böses Erwachen zur Folge haben. Es kann nämlich passieren, dass ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Wesentlichen mit der Begründung verworfen wird, weil der Antragsteller, wie nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg wegen § 80 Abs. 3 Satz 2 iVm § 80 Abs. 6 VwGO erforderlich, zuvor den Antragsgegner um Aussetzung der Vollziehung ersucht hat (OVG Lüneburg 1. Senat, Beschluss vom 08.07.2004, 1 ME 167/04).
Die obligatorische Befassung der Behörde mit dem Begehren um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 6 VwGO vor der Anrufung des Gerichts soll den Vorrang der verwaltungsinternen Kontrolle stärken und die Gerichte entlasten (vgl. d. Entwurf d. 4. VwGO-ÄndG, BT-Drucks. 11/7030 zu Nr. 13, S. 24).
Das OVG Lüneburg qualifiziert die Verweisung in § 80a Abs. 3 VwGO auf § 80 Abs. 6 VwGO als Rechtsfolgenverweisung. Als Rechtsgrundverweisung würde die Regelung nämlich mangels Anwendungsbereichs keinen Sinn ergeben. So ist die Verweisung nicht als „Redaktionsversehen“ anzusehen.
„Der Gesetzgeber hat indes trotz aller „juristischen Kraftausdrücke“, mit dem seine vermeintliche Fehlleistung etikettiert worden ist, die bisherigen VwGO-Novellen, namentlich das 6. VwGO-Änderungsgesetz vom 1. 11.1996 (BGBl I S. 1626), welches sich u.a. ebenfalls § 80 VwGO gewidmet hat, nicht zum Anlass genommen, diese vermeintliche Fehlleistung oder sein „Redaktionsversehen“ nunmehr zu korrigieren.“
c. Vorrangige Befassung ermöglicht die Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles
Die vorrangige Befassung der Behörde mit dem Begehren um vorläufigen Rechtsschutz muss vor dem Hintergrund der allgemeinen Regelung der VwGO gesehen werden, die mit der aufschiebenden Wirkung des Nachbarwiderspruchs im Regelfall und dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Nachbarn nur ein sehr grobes Regelungsraster bietet, das Besonderheiten des Einzelfalles unberücksichtigt lässt.
Die vorrangige Befassung gibt der Behörde die Möglichkeit, den Fall einer individuellen Prüfung entsprechend den Besonderheiten des Einzelfalls – Intensität und Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung des Nachbarn auf der einen Seite und Interesse des Bauherrn bzw. öffentliches Interesse auf der anderen Seite – zuzuführen.
2. Ausnahme: Genehmigung wird bereits ausgenutzt.
Wird die Genehmigung bereits ausgenutzt, das heißt wurde der Beginn der Bauarbeiten angezeigt, ist ein vorheriger Antrag auch in Niedersachsen nicht erforderlich (VG Stade, Beschluss vom 08. Dezember 2003 – 2 B 1212/03 –, juris, Rz. 15).
II. Heilung?
Im Übrigen kommt in Niedersachsen auch eine Heilung im laufenden Verfahren nicht in Betracht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Januar 1997 – 6 M 6987/96 –, juris).
Denn bei dem Erfordernis vorheriger behördlicher Befassung handelt es sich nicht um eine Sachentscheidungsvoraussetzung im herkömmlichen Sinne, sondern um eine Zugangsvoraussetzung.
Erforderlich ist daher, einen neuen Eilantrag zu stellen.
Das mag auf den ersten Blick als unnötige Förmelei erscheinen. Gleichwohl ist es entgegen der Auffassung des BWVGH (Beschl. v. 23.September 1994 – 8 S 2380/94 -, NVwZ 1995, 1004) nicht gerechtfertigt, deswegen sowie wegen der mit einiger Sicherheit abzusehenden Wiederholung des Eilverfahrens auf die Einhaltung dieses formellen Erfordernisses zu verzichten.
Nur die konsequente Einhaltung dieser formellen Zugangsvoraussetzung und Handhabung der §§ 80 a Abs. 3 Satz 2 iVm 80 Abs. 6 VwGO bewirkt, dass diese Vorschriften ernst genommen und der letztlich mit ihnen verfolgte Zweck eintritt,
Dadurch sollen die Verwaltungsgerichte jedenfalls in den Fällen vor unnötiger Inanspruchnahme geschützt werden, in denen die Bauaufsichtsbehörde noch keine Entscheidung darüber getroffen hat, ob der Sofortvollzug der Baugenehmigung (angeordnet oder) ausgesetzt werden soll (vgl. Schmaltz DVBl. 1992, 230, 234 f.).