Ein beliebtes Problem im öffentlichen Baurecht ist die Frage nach der Feststellungswirkung der Baugenehmigung im Spannungsverhältnis zu nachträglichen Änderungen. So stellen sich hier Fragen wie danach, ob der Inhaber einer Baugenehmigung mit der Bauausführung beginnen kann, wenn nach Erteilung der B-Plan geändert wird und das Bauvorhaben danach unzulässig ist oder wie die Feststellungswirkung der Baugenehmigung in einem solchen Falle wieder beseitigt werden kann und wer dazu ermächtigt ist.
1. Schlusspunkttheorie
Inhaltsverzeichnis
Die Baugenehmigung trifft im Umfang des von der Bauaufsichtsbehörde im Genehmigungsverfahren geprüften Umfangs eine verbindliche Feststellung, dass das genehmigte Vorhaben mit dem geltenden öffentlichen Recht vereinbar ist. Es gilt die sog. „Schlusspunkttheorie“: Durch die Erteilung einer Baugenehmigung wird – soweit die Bauaufsichtsbehörde einer Prüfpflicht unterliegt – eine umfassende öffentlich-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt und der Bau freigegeben. (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 30. September 2020 – 4 ME 104/20 –, Rn. 17, juris mit Verweis auf Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 70 Rn. 5 f. m.w.N.)
a) Prüfungsumfang
Die Bauaufsichtsbehörde hat im bauaufsichtlichen Verfahren – auch im vereinfachten – zu prüfen, ob andere Genehmigungen, Zustimmungen, Bewilligungen oder Erlaubnisse erforderlich sind. Über die Baugenehmigung darf erst entschieden werden, wenn diese anderen Genehmigungen, Zustimmungen, Bewilligungen oder Erlaubnisse beantragt und erteilt sind (vgl. OVG Niedersachsen, Urt. v. 30.4.2014 – 1 LB 200/12 – für eine sanierungsrechtliche Genehmigung).
Mit der Erteilung der Baugenehmigung soll der Bauherr deshalb davon ausgehen dürfen, dass sein genehmigtes Vorhaben – soweit es zu prüfen ist – den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. April 2020 – 1 MB 2/20 –, Rn. 37, juris mit Verweis auf LT-Ds. 16/1675 Seiten 3, 130).
b) Feststellungswirkung der Baugenehmigung
Folgerichtig geht von einer wirksam erteilten Baugenehmigung die Feststellungswirkung aus, dass das genehmigte Vorhaben sämtliche im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Anforderungen erfüllt, d.h. auch keine anderen Genehmigungen, Zustimmungen, Bewilligungen oder Erlaubnisse mehr erforderlich sind. Die Berechtigung einer anderen Fachbehörde, die Ausführung des genehmigten Vorhabens wegen eines (drohenden) Verstoßes gegen das von ihr durchzusetzende Fachrecht zu untersagen, ist angesichts der Feststellungswirkung der Baugenehmigung gesperrt (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 30. September 2020 – 4 ME 104/20 –, Rn. 17, juris).
2. Rechtmäßigkeit oder Bestandskräftigkeit der Baugenehmigung
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Schlusspunkttheorie ist die Rechtmäßigkeit oder Bestandskräftigkeit der Baugenehmigung. An der Rechtmäßigkeit kann es fehlen, wenn beispielsweise ein erforderliches Einvernehmen der Gemeinde nicht eingeholt wurde. Denn dann verletzt die Bauaufsichtsbehörde ihre Pflicht, andere Genehmigungen, Zustimmungen, Bewilligungen oder Erlaubnisse, soweit diese erforderlich sind, einzuholen und über die Baugenehmigung erst zu entscheiden, wenn diese anderen Genehmigungen, Zustimmungen, Bewilligungen oder Erlaubnisse beantragt und erteilt sind.
Beispiel: fehlendes Einvernehmen der Gemeinde
Verstößt die Erteilung der Baugenehmigung ohne das Einvernehmen der Gemeinde nach § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB, führt allein dieser formelle Verstoß zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 10. September 2015 – 1 LA 90/15 –, Rn. 21, juris).
3. Aufhebung?
Die von der erteilten Baugenehmigung ausgehende Feststellungswirkung kann aber durch ihre Aufhebung beseitigt werden (vgl. OVG S-H, Beschl. v. 20.4.2020 – 1 MB 2/20 -, juris). Dafür zuständig ist allein die Bauaufsichtsbehörde, nicht jedoch andere Fachbehörden. Andere Fachbehörden sind vielmehr gezwungen, die Aufsichtsbehörde einzuschalten, um ihre Rechtsauffassung durchzusetzen.