Wann ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich im Sinne von § 40 Absatz 1 Satz 1 VwGO?

Ob eine Streitigkeit als öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich zu beurteilen ist, richtet sich nach dem Charakter des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird (BGHZ 97, 312 <313 f.>, BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1994 – 5 C 33.91 – BVerwGE 96, 71 <73>). 

Charakter des Rechtsverhältnisses entscheidend

Der Charakter des zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses bemisst sich nach dem erkennbaren Ziel des Rechtsschutzantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts. Maßgeblich für die Rechtswegfrage ist also, ob die gerichtliche Entscheidung über den Klageanspruch, d.h. über den geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch, nach öffentlichem Recht oder aber nach bürgerlichem Recht zu treffen ist (Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 40 Rn. 202 f.). Maßgeblich für die Abgrenzung ist aber die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt, nicht dagegen der Umstand, dass sich der Kläger auf eine zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft (BGH, Beschluss vom 5.6.1997, I ZB 3/96, Juris Rn. 16 m.w.Nw.).

Rechtssatzqualifikation entscheidend

Steht fest, welche Rechtssätze für den geltend gemachten Anspruch streitentscheidend sind, bestimmt sich der Charakter der Streitigkeit danach, ob die Rechtssätze dem öffentlichen oder dem privaten Recht angehören (Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, a.a.O., § 40 Rn. 217 f.).

Definition der öffentlich-rechtlichen Norm

Öffentlich-rechtlich sind Normen, die nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet (BGHZ 108, 284 <286>; BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 2010 – 6 A 5.09).

Beispiele und Problemfälle

a) Privatrechtsweg: Öffentlicher Arbeitgeber als privater Arbeitgeber

Dass eine zu besetzende Stelle die Qualität eines öffentlichen Amtes i.S.v. Art. 33 Abs. 2 GG hat und die Einstellungskörperschaft Hoheitsträgerin ist, ist für die Bestimmung des Rechtswegs unerheblich. 

So wendet sich Art. 33 Abs. 2 GG an „staatliche Arbeitgeber“ nur dann in ihrer hoheitlichen Funktion als Dienstherr, wenn es um die Verleihung eines öffentlichen Amtes durch Begründung eines Beamtenverhältnisses geht (insoweit wie hier etwa OVG Münster, Beschluss vom 27. April 2010 – 1 E 404/10 – NZA-RR 2010, 433 <434>; LAG Köln, Beschluss vom 4. Dezember 2020 – 9 Ta 203/20 – juris Rn. 15). Dagegen wird dieselbe Körperschaft als private Arbeitgeberin und nicht als Trägerin hoheitlicher Gewalt nach Art. 33 Abs. 2 GG bei der Vergabe eines öffentlichen Amtes durch Arbeitsvertrag verpflichtet.

Denn ein öffentliches Amt kann sowohl an einen Arbeitnehmer als Tarifbeschäftigten mittels Arbeitsvertrags vergeben werden als auch einem Beamten durch die Übertragung eines Statusamtes verliehen werden. Wie die Antragsgegnerin dabei handelt – öffentlich-rechtlich als Dienstherr durch die Verleihung eines Statusamtes oder bürgerlich-rechtlich als Arbeitgeberin durch die Begründung eines Arbeitsverhältnisses -, ist (jenseits der zwingend mit Beamten zu besetzenden Ämter, in denen, wie etwa bei Polizei und Justiz, staatliche Hoheitsgewalt i.S.v. Art. 33 Abs. 4 GG ausgeübt wird) ihr überlassen.

c) Verwaltungsrechtsweg: Gemischte Bewerberkonkurrenz

Die Rückausnahme zum eben beschriebenen bildet die sogenannte gemischte Bewerberkonkurrenz. Hier streitet schließlich der Gedanke der effektiven Rechtsschutzgewährung gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG gerade im Konkurrenteneilverfahren um öffentliche Stellen dafür, soweit möglich gespaltene Rechtswege zu verschiedenen Fachgerichtsbarkeiten und damit unweigerlich eintretende Verzögerungen und in der Sache sich widersprechende Entscheidungen in unterschiedlichen Rechtswegen zu vermeiden. Geht es um die Auswahlentscheidung für eine Stelle, von der noch nicht klar ist, in welcher konkreten Organisationsform (als Statusamt oder nach Tarifvertrag) sie vergeben wird, ist im Fall einer gemischten Bewerberkonkurrenz nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, wenn ein Beamter um Rechtsschutz nachsucht oder ein – auch nichtbeamteter – Dritter sich gegen die Auswahlentscheidung zugunsten eines Beamten wendet. Denn dann stehen stets Sonderstatusrechte aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 33 Abs. 5 GG in Streit. Bewerben sich dagegen ausschließlich nichtbeamtete Bewerber um eine solche Stelle, ist umgekehrt nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet.

d) Verwaltungsrechtsweg: Hausverbot bzw. dauerhafter Ausschluss von dem Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung

Ein Hausverbot durch einen öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträger hat nach der überwiegenden Ansicht dann öffentlich-rechtlichen Charakter, wenn es dazu dient, (allgemein) die Erfüllung der staatlichen Aufgaben im Verwaltungsgebäude zu sichern beziehungsweise (konkret) die unbeeinträchtigte Wahrnehmung einer bestimmten staatlichen Sachkompetenz zu gewährleisten (vgl Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. Juli 1980 – 9 CS 80 A.268 – NJW 1980, 2722, 2723; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl 2009, § 3 RdNr 24; Knemeyer, DÖV 1970, 596, 599). 

Die Frage der Rechtmäßigkeit eines dauerhaften Ausschlusses von dem Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung mit Mitteln des Privatrechts (z.B. Kündigung durch einen Rechtsanwalt) ist nach richtiger Ansicht aber ebenfalls als Kehrseite zu deren Zulassung nach öffentlichem Recht zu beurteilen. Denn auch ein auf privatrechtlicher Rechtsgrundlage beruhender Ausschlüsse von der Nutzung einer öffentlichen Einrichtung ist lediglich die „Kehrseite“ des kommunalrechtlichen Zugangsanspruchs (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 30.10.1986 – 1 S 2497/86 – NVWZ 1987, 701; Beschluss vom 30.11.1988 – 2 S 1140/87 – NVwZ-RR 1989, 267; Beschluss vom 15.03.2018 – 12 S 1644/18 – juris Rn. 58; BayVGH, Beschluss vom 10.10.2012 – 12 CE 12.2170 – juris Rn. 36; OVG NRW, Urt. v. 14.10.1988 – 15 A 188/86 – juris Rn. 5; VG Neustadt, Beschluss vom 10.02.2010 – 4 L 81/10 – juris Rn. 3; VG Regensburg, Beschluss v. 09.01.2023 – RN 3 E 22.2488). 

Denn ein öffentlich-rechtlicher Zulassungsanspruch darf nicht durch ein privatrechtliches Benutzungsverbot umgangen werden (vgl. OVG NRW, Urt. v. 14.10.1988 – 15 A 188/86 – juris Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 10.10.2012 – 12 CE 12.2170 – juris Rn. 36). Hieraus folgt, dass die „Kündigung“ eines privatrechtlichen Nutzungsverhältnisses und damit analog auch ein auf privatrechtliche Grundlagen gestütztes Hausverbot den grundsätzlich öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruch unberührt lässt.

RA Dipl. iur. Marc Heidemann

RA Marc Heidemann konzentriert sich auf das Verwaltungsrecht und deckt eine breite Palette an verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten ab. Seine Schwerpunkte liegen insbesondere im Waffenrecht, Denkmalschutzrecht und Baurecht. Bei verwaltungsrechtlichen Fragen bietet er zudem Unterstützung im Arbeits- und Zivilrecht. Entdecken Sie sein Fachwissen für Ihre rechtlichen Belange.

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